Der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegte Entwurf für eine Reform der Pflegeversicherung ist bei Verbänden auf scharfe Kritik gestoßen. Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags wurden die Vorschläge am Mittwoch als Reförmchen bezeichnet. Die dringend notwendigen Veränderungen würden erneut nicht angepackt.
"Die Bundesregierung setzt zum Fassadenanstrich an, während das gesamte Gebäude der Pflege wankt", erklärte beispielsweise der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste. Die gesetzlichen Krankenkassen warnten vor einer Überforderung der Versicherten. Lauterbach bürde allein den Beitragszahlern neue Lasten auf, kritisierte der GKV-Spitzenverband. Dabei sei Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Entwurf biete "keine Lösung für eine nachhaltige und tragfähige Stabilisierung der Pflege".
Der Gesetzentwurf sieht einerseits steigende Beiträge zur Pflegeversicherung vor, andererseits sollen Leistungen leicht angehoben werden. Insbesondere die Verbesserungen für pflegende Angehörige und Pflegebedürftige fallen aber laut Entwurf geringer aus, als von Lauterbach zunächst angekündigt. Konkret soll unter anderem bereits zum 1. Juli der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens angehoben werden. Kinderlose zahlen künftig 4 Prozent. Um die häusliche Pflege zu stärken, sollen das Pflegegeld und die ambulanten Sachleistungsbeträge zum 1. Januar 2024 um jeweils 5 Prozent erhöht werden.
Lauterbach bezifferte die Mehreinnahmen auf rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr. Vier Milliarden Euro sollen in Leistungsverbesserungen fließen. Zugleich müssen Defizite ausgeglichen werden. Der Minister hat für das kommende Jahr einen grundlegenden Reformvorschlag angekündigt.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kritisierte insbesondere, dass der Gesetzentwurf die dringend notwendige Stärkung der häuslichen Pflege unterlasse. Der ursprünglich vorgesehene Jahresbeitrag für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege hätte vielen Menschen, die zu Hause gepflegt werden, geholfen. "Jetzt werden weder die Inanspruchnahme notwendiger Entlastungsleistungen für pflegende Angehörige angemessen vereinfacht noch das System spürbar entbürokratisiert." (…)
Der Deutsche Caritasverband vermisst die Förderung innovativer Ansätze. So hätten Senioren nicht nur die Wahl zwischen Pflege zu Hause oder in einer stationären Einrichtung. Insbesondere ambulant betreute Wohngemeinschaften seien eine attraktive Wohnform. "Leider diskriminieren die gesetzlichen Regelungen diese WGs, und im vorliegenden Gesetzentwurf für eine Pflegereform wurden sie schlichtweg vergessen."
Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie und der Familienbund der Katholiken kritisierten eine unzureichende Entlastung von Familien mit mehreren Kindern. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Besserstellung von kinderreichen Familien in der Pflegeversicherung falle zu gering aus. Die Entlastung sei unausgewogen gestaffelt, erklärte der Familienbund. Er forderte einen Kinderfreibetrag analog zum Steuerrecht. (KNA)