In der Diskussion über die Zukunft von Hartz IV hat sich eine Mehrheit der Menschen in Deutschland in einer Befragung für Änderungen ausgesprochen. 75 Prozent finden es demnach gut, dass die SPD darüber nachdenkt, Hartz-IV-Gesetze zu "korrigieren". Bei den SPD-Anhängern stimmen 83 Prozent dieser Aussage zu. Das ergab ein am Donnerstagabend veröffentlichter ARD-Deutschland-Trend unter 1.006 Befragten von Anfang der Woche. Unterdessen geht die Debatte über die Sozialleistung in der Politik und unter Experten weiter. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, unterstützt den Vorschlag von Grünen-Chef Robert Habeck, das Hartz-IV-System durch eine Garantiesicherung ohne Zwang zur Arbeitsaufnahme zu ersetzen. "Die Einführung eines Garantiesystems bei Sozialleistungen ist prinzipiell gut und richtig", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag). Das größte Problem mit Blick auf Armut und Arbeitslosigkeit ist laut Fratzscher nicht eine Verweigerung der Betroffenen, "sondern die fehlende Unterstützung und das Fehlen von Angeboten, die es ermöglichen, über Qualifizierung und Gesundheitsmaßnahmen wieder eine Chance zu erhalten". Fratzscher mahnte, eine bessere und klügere Grundsicherung dürfe nicht isoliert betrachtet werden. "20 Prozent aller Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnbereich, und 2 Million Beschäftigte erhalten nicht mal den Mindestlohn, auf den sie Anspruch haben." Deshalb müsse die Stellung von Arbeitnehmern mit geringen Löhnen verbessert werden.
Die FDP dagegen kritisiert die Pläne des Grünen-Chefs: "Habeck geht davon aus, dass wir für einen Teil der Menschen nichts mehr zu tun haben und dass man ihnen deshalb eine Art Stilllegeprämie bezahlen müsste", sagte Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, der "Welt" (Freitag). "Das Gegenteil stimmt: Die Digitalisierung wird viele zusätzliche Jobs schaffen. Studien zeigen, dass die Digitalisierung in den nächsten Jahren weltweit fast 60 Millionen mehr Jobs schafft, als durch sie wegfallen." Die Debatte über eine Anhebung des Schonvermögens halte er für sinnvoll. Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte, er gehe davon aus, dass der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands nicht primär auf die Hartz-IV-Reformen zurückzuführen sei. Die Menschen hätten den Erfolg erarbeitet, und man dürfe sie nicht "allzu sehr mit unfairen Maßnahmen drangsalieren", sagte Saleh am Donnerstagabend in der rbb Abendshow. Hartz IV solle abgeschafft werden. Habeck will die bisherige Grundsicherung durch ein neues Garantiesystem ersetzen. Dieses soll auf Anreiz statt auf Bestrafung setzen, existenzsichernd sein und Zuverdienst attraktiver machen. Das Schonvermögen soll angehoben und alle existenzsichernden Leistungen gebündelt werden. Die SPD hatte die Debatte angestoßen. SPD-Chefin Andrea Nahles hatte am Wochenende angekündigt, dass die SPD "Hartz IV hinter sich lassen will und eine neue Grundsicherung schaffen will".
Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), hat seine Forderung nach einer Wertedebatte in der Union erneuert. "Eine Verschiebung des Koordinatensystems nach links oder rechts würde nichts bringen", um verlorene Wähler zurückzugewinnen, sagte Brinkhaus der "Passauer Neuen Presse" (Freitag). "Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören und ihr Leben Stück für Stück besser zu machen." Menschen suchten nach Orientierung. "Deshalb müssen wir eine neue Wertediskussion über Würde, Freiheit, Solidarität und Eigenverantwortung führen. Das 'C' aus unserem Parteinamen muss in einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts neu verortet werden", sagte Brinkhaus. (Familienbund der Katholiken/Sascha Nicolai/KNA)