Ein Interview mit FDK-Präsident Stefan Becker über die Formen und Herausforderungen moderner Familien, die Bedeutung von „Amoris Laetitia“ und das politische Engagement des Familienbunds.
Das Erscheinungsbild von Familie ist heute so bunt und vielfältig wie nie zuvor. Wie definiert der FDK Familie und wo liegt das gemeinsame Fundament der unterschiedlichen Formen?
Grundlegende Elemente sind für uns die auf Dauer angelegte Verantwortungsbeziehung zueinander und die Sorge um und für Kinder. Wir unterscheiden zwar unterschiedlichste Formen, sind aber keineswegs nur für eine einzige Familienform aktiv. Der Familienbund ist vielmehr Stimme für alle Familien in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen, Lebenslagen und Altersstufen – von der Paarbeziehung bis hin zur Pflege älterer Menschen. Zugleich berücksichtigen wir spezielle Herausforderungen in den Familien wie drohende Armut oder das Leben mit Behinderung.
Wie lässt sich ein modernes, weit gefasstes Familienbild mit der strikten Lehre der Kirche vereinbaren? Befindet sich der Familienbund hier nicht ständig in einem Spagat?
Ich empfinde es weniger als Spagat, sondern vielmehr als Aufgabe, Brücken zu bauen zwischen der Lehre auf der einen Seite und der Lebenswirklichkeit auf der anderen Seite. Spätestens seit „Amoris Laetitia“ ist es übrigens auch keine strikte Lehre mehr. Wir wollen Perspektiven eröffnen, um Familie heute leben zu können – und zwar ausgehend von der Lebenswirklichkeit von Familien und zugleich im Einklang mit den Werten, die wir als Kirche mitbringen.
Hat das nachsynodale Schreiben „Amoris Laetitia“ von Papst Franziskus ihren Erwatungen entsprochen?
Wir haben im Vorfeld ganz klar formuliert, dass wir eine Kultur der offenen Arme und eine Spiritualität der Liebe erwarten. Genau das ist erfüllt worden! Papst Franziskus spricht in seinem Schreiben sehr ausführlich von der Liebe. Er rückt keine Rechtsvorschriften in den Vordergrund, sondern die Liebe als das Eigentliche, das uns trägt und treibt. Auf lebendige und menschennahe Weise sagt er: Das Wesen von Kirche liegt nicht in der Erfüllung moralischer Regeln und Gesetzte, sondern darin, die Liebe wirksam werden zu lassen.
Welche Konsequenzen erwarten Sie sich von den deutschen Bischöfen?
Papst Franziskus wird besonders dann mahnend, wenn es um die familienpastoralen Aufgaben geht. Für ihn gibt es nicht ein Gesetz, das eins zu eins umgesetzt werden muss, sondern es ist Aufgabe der Priester und Bischöfe vor Ort, das Gesetz im Einzelfall anzuwenden. Die große Herausforderung liegt darin, den Menschen tatsächlich zu begegnen. Mit den Befragungen der Laien und den Hearings zur Familiensynode haben die deutschen Bischöfe bereits aufmerksam zugehört. Für die Zukunft erwarte ich, dass genau das fortgesetzt wird.
Vor welchen Problemen und Herausforderungen stehen Familien heute?
Die größte Herausforderung liegt darin, dass das Wesen von Familie – nämlich Verbindlichkeit und Verlässlichkeit – auf Rahmenbedingungen prallt, die von Unverbindlichkeit und Flexibilität geprägt sind. Familien hier zu stärken, betrachten wir als eine unserer Aufgaben. Ein wichtiger Bereich ist hier zum Beispiel die Pflege älterer Menschen. Im Gegensatz zur Kinderbetreuung, wo wir bereits ein gutes Netzwerk infrastruktureller Angebote haben, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege noch in keiner Weise realisiert.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das politische Engagement des FDK?
Wir fordern zum Beispiel eine stärkere Entlastung von Familien, die einen Angehörigen pflegen. In den Sätzen der Pflegekasse gibt es nach wie vor große Unterschiede zwischen professioneller und familiärer Pflege, die unserer Meinung nach nicht gerechtfertigt sind. Außerdem brauchen wir einen umfassenderen gesetzlichen Anspruch auf Freistellungsmöglichkeiten und eine stärkere Anerkennung für spätere Rentenzahlungen. Pflege zu Hause muss eine Selbstverständlichkeit sein – ohne dass man später das finanzielle Nachsehen hat.
Zugleich sind wir weiterhin Stimme für junge Familien: Zum Beispiel mit unserem Einsatz für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dem Ringen um mehr Beitragsgerechtigkeit in den Sozialversicherungen.
Was brauchen Familien über die politischen Reformen hinaus?
Wertschätzung! Es wird oft davon gesprochen, dass Deutschland kein familienfreundliches Land mehr sei. Doch jeder von uns kann selbst einen Beitrag leisten, dass es als solches wahrgenommen wird. Wir sollten wieder mehr davon sprechen, welchen Wert Familie für uns hat, und andere mit unserer Begeisterung anstecken!
Das Interview führte Anja Legge für das "Würzburger katholisches Sonntagsblatt": http://www.sobla.de/nachrichten/index.html/stimme-fuer-alle-familien/76c43a2e-9a0c-4eb1-9c32-3bb5ec43aa50?mode=detail